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Wenn der Markt aber nun ein Loch hat...
Wenn der Markt aber nun ein Loch hat...
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Das Wunder des Leerstands
Nach der Wende hatten sich die Leute hier endlich ein Ende des Wohnungsnotstandes erhofft. Warum auch nicht - schließlich gab es auf einmal bestes Baumaterial in rauhen Mengen, im wahrsten Sinne zuvorkommende Makler an jeder Straßenecke und vor allem die tollen Ratenkredite der Banken mit kulanten 30 Jahren Laufzeit. Am ausgelaufenen Wohnungsbauprogramm der DDR setzte die Kombination aus Baukindergeld und Eigenheimzulage nahtlos an. Es wurde reichlich gefördert und auch ebenso fleißig gebaut, bis es für alle eine Wohnung gab.
Leider endete die Geschichte hier nicht wie es sich gehört mit einem happy end, sondern seit etwa 1995 merkten die Stadtväter, dass ihnen mit dem lieben Stimmvieh auch die finanzielle Basis für jeden Haushaltsplan langsam aber sicher entwischt. Angefangen hat es sicher mit der Pferdekur einer ruckartigen Währungsumstellung auf Westgeld, wodurch Eberswalde schlagartig fast alle Arbeitsplätze der Industriebetriebe in Richtung Westen verlor. Diesen pilgerten nun in einer nie abreißenden Flüchtlingswelle - mal mit, mal ohne Wanderprämie vom Arbeitsamt - die aus dem einheimischen Arbeitsmarkt herausgefallenen ehemaligen Steuerzahler hinterher. Bis irgendwann die freigewordenen Wohnungen nicht mehr so einfach an suchende Familien weitervermietet werden konnten.
Das selbe Dilemma spiegelt sich auf dem Gewerbeimmobilienmarkt wieder. Nach der Wende fanden sich noch viele hoffnungsfrohe Existenzgründer und gestandene, bislang behinderte Handwerksmeister zur Wiederbesiedlung von Kranbau, Rofinpark, TGE und "Autopark" Finowfurt, wenn man auch von einer Vollauslastung der zur Verfügung stehenden Flächen und Gebäude weit entfernt war. Heute befinden sich sogar mehr Objekte vernietet und vernagelt unter Beobachtung von privaten Streifendiensten als 1991. Ich denke da an die fast neuen Gebäude von Axsyn/SecuPorta, RBL und Petschkun im TGE, an das Papierfabrikgelände Wolfswinkel, an das voraussichtlich bald leerstehende heutige Kreishaus, an diverse Gebäude im Kranbau und im Kranbaupark, an alle Truppenstandorte der Sowjetarmee in dieser Stadt (Auszug war 1994) sowie an die einstmals vollvermieteten Einkaufsmeilen zwischen Kranbau und Rathaus. Von fast schon traditionell leeren "Prachtstücken" wie der Ackerstraße, der Schleusenstraße, Kupferhammer, Finow-Mitte, den durchaus hübschen Gewerbegrundstücken am Kanal hinterm Rathaus und anderen Gruselecken ganz zu schweigen!
Mit jeder verwaisten Industriefläche entvölkerten sich ganze Straßenzüge. Wir haben heute Stadtteile mit 30% Leerstand, ja sogar 40% Leerstand in der Eisenbahnstraße, also direkt an der Hauptachse des Lebens dieser Stadt. Sofort schreien die Vermieter Zeter und Mordio und verlangen nach Jahren satter Bauförderung nun eine Rückbauförderung. Ohne Zweifel liegt so ein Vorgehen im Interesse von WBG und WHG, von diversen Immobilienfonds und Miethaien in dieser Stadt. Aber dient das auch der Stadt und kann es überhaupt helfen?
Begründet wird die Rückbaunotwendigkeit mit verlassenen Objekten, die allmählich das Stadtbild verschandeln. Was leerstehende Gebäude ja auch mit Sicherheit tun. Nur: Warum hat all die Objektbesitzer dies nicht in den Jahren davor abgehalten, eben diese Objekte verfallen zu lassen und anderswo nagelneue Objekte hinzuzustellen bzw. eben diese heute leerstehenden Objekte erst mit Fördermitteln aufzubauen? Das Stadtbild ist also wohl nicht der erste Grund für das Geschrei der Vermieter.
Was ist eigentlich ein Rückbau von Wohnungen und Vernageln von Betriebsobjekten unter marktwirtschaftlichem Gesichtspunkt? Nichts anderes als eine künstliche, nur mit Förderung realisierbare Verknappung des Angebotes. Was bewirkt eine Verknappung? Eine Preissteigerung. Was bewirken steigende Preise? Höhere Lebenshaltungskosten. Kombiniert man diese aber mit fallenden bis entfallenden Einkommen und einer haarsträubenden Abwassergebührenpolitik, dann ist eine Völkerwanderung das logische Ergebnis. Noch im Jahr 2003 haben uns Makler schimmelige verwinkelte Altstadt-Keller als nobles Villen-Untergeschoß zu Wucherpreisen angeboten und lagen durch die Hortung von leerstehenden Ladenlokalen im Stadtzentrum die dortigen Mieten noch bei 10 Euro je m und deutlich darüber. Nun endlich bricht die kartellartige Mauer der Vermieter ein und unterbietet sich flächendeckend schon gegenseitig, wie es sich in der Marktwirtschaft ja wohl gehört. 5 Euro/m sind in den Gewerbeparks der Stadt heute schon die Oberkante des erzielbaren Mietbetrages (warm). Was würde es nun schaden, wenn die oftmals aus Volkseigentum stammenden alten oder doch wenigstens mit Steuermitteln geförderten neueren Gebäude nun nur noch zu 1 oder 2 Euro je m vermietet werden könnten? Ganz einfach: Man würde all die armen Leute, die von Zinsen aus solchen Objekten leben müssen, um ihr tägliches Brot bringen. Kann man es einem Politiker, Beamten oder Kaufmann, der zur rechten Zeit ins öffentliche Säckel oder die Taschen seiner Mitbürger greifen konnte und nun die Früchte seines Geldes genießen will, einfach zumuten, sich nun mit ehrlicher Arbeit oder normaler Rente durchschlagen zu müssen? Ich meine: Ja!
Und es wäre sogar noch milder als für die tausenden Arbeitslosen dieser Stadt heute, denn mit fallenden Gewerbemieten werden viele Geschäftsideen erst durchführbar. Wundert es Sie nicht etwa auch, dass die Hauptstraßen kaum noch andere Gewerbe als Banken, Versicherungen, Verwaltungen, Bäcker, Optiker und Autohäuser vorzuweisen haben. Weshalb gibt es denn keine Buchbinder, Schuster, Schneider und Radioflicker mehr in Eberswalde? Warum packen so viele Existenzgründer nach wenigen Jahren wieder ein? Weil angesichts der heute üblichen Kosten an Konkurrenz mit den etablierten Fabriken anderswo nicht zu denken ist. Miete aber macht bei Kleinunternehmern, die noch selbst mit anpacken, oft den fettesten Brocken aller Kosten aus. Und Miete ist im Prinzip nichts weiter als die Ratenzahlung auf einen Kredit, den ein anderer auf Bau oder Umbau eines Gebäudes aufnahm oder theoretisch aufgenommen haben könnte - plus Gewinnmarge. Bei üblicher langer Laufzeit macht der Zins in jeder Monatsmiete durchschnittlich 70% aus. Während der Mieter heute weniger denn je weiß, ob er angesichts des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs am Monatsende pünktlich Miete zahlen kann, besteht der Vermieter auf Miete und Zins, ja sogar auf den explodierenden Newbenkosten. Je weniger Konkurrenz im Immobilienmarkt die Preise senkt, um so bessere Karten hat der Vermieter natürlich. Nun hat der mathematisch vorhersehbare "Zufall" gerade den Mietern mit dem Leerstandsproblem der Vermieter die besseren Karten zugespielt - und schon sollen eben diese Mieter aus ihren Steuerzahlungen den Rückbau finanzieren helfen, damit ihnen hinterher das Fell noch schneller über die Ohren gezogen werden kann. So wird aus sozialer Marktwirtschaft eine sozialdarwinistische Marktwirtschaft.
Genaugenommen ist das dann gar keine Marktwirtschaft mehr, denn wir haben ja soeben verstanden, wie der Markt hier ähnlich schamlos wie im Sozialismus von der herrschenden Klasse manipuliert wird. Mittendrin im Markt gibt es einen von Recht und Gesetz besonders eifrig geschützten Bereich, ein schwarzes Loch, die Zinswirtschaft (auch Kapitalismus genannt). Wer sich als Wirtschaftssubjekt mit irgendwelchen Produktionsvorhaben auf einen Wettlauf mit Zinsempfängern einläßt - und das tut er bereits bei jedem Einkauf von Waren oder Leistungen, zu deren Erzeugung irgendwo Kredite im Spiel waren - der kann langfristig nur verlieren. Irgendwann lebt man nur noch im Galopp und kommt trotzdem nicht mehr mit, weil alles Geld immer schneller in das schwarze Loch fällt und somit in der Tasche von ganz wenigen Superreichen angekommen ist. Das hat nichts mit Moral oder politischer Verbohrtheit zu tun - das ist reine Mathematik. Oder können Sie sich vorstellen, ihre Leistung und ihren Konsum alle 7-14 Jahre zu verdoppeln? Wieviele Kühlschränke, PCs und Autos, Wohnungen und Pachtgärten, Sofas und Mäntel werden Sie in 20 Jahren gleichzeitig besitzen? Ach, gar nicht so viel mehr als heute? Wem wollen Sie dann die Ergebnisse ihres Leistungszuwachses verkaufen? Womit sollen diese Hersteller denn ihren Leistungszuwachs bezahlen, wenn Sie deren ebenso gesteigerte Produktion verschmähen? Bei 7% Zinssatz verdoppeln sich die Einsätze der Geldgeber alle 10 Jahre - und natürlich auch die etwas breiter verteilten Schulden in selber Höhe unter all den direkten Kreditnehmern und den Konsumenten von kreditfinanzierten Gütern.
Lassen Sie sich jedoch nicht von solchem Pessimismus verunsichern. Erst einmal marschieren wir ja alle stramm auf eine selbstgebaute Deflation zu. Und die hat auch ihre guten Seiten, wenn man gut aufpasst. Was wäre denn, wenn das Stadtparlament eine Art Hortungssteuer auf ungenutzte, sinnlos vergammelnde Objekte im Stadtbereich festsetzt? Wenn andere Umlandgemeinden nachziehen? Und wenn die Rückbauförderung aus gutem Grund abgeschmettert wird? Dann haben wir hier endlich einmal eine Förderung von rentabel werdender Arbeit statt von erpresstem Kapital. Allein reicht das natürlich noch nicht zu einem Aufschwung, aber wenn wir nun noch ein neues Geld unters Volk bringen, welches zu horten sich nicht lohnt, dann wird aus dem Wunder des Leerstandes ein Wunder des Wohlstandes - da bin ich ganz sicher!
Peter Spangenberg