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Die verzauberte Zahnpastatube

Gabriele Schernthaner

Irina Dessert/Elena Spangenberg: Umschlaggrafik

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Schernthaner, Gabriele:
Die verzauberte Zahnpastatube: Geschichte. – 1. Aufl. – Eberswalde: PS VERLAG, 2005. – 61 S.

Umwelthinweis

Dieses Buch wurde mit einem umweltfreundlichen Verfahren und auf chlorfreigebleichtem Papier gedruckt.

Impressum

© 2005 PS VERLAG
Illustrationen: Irina Dessert
Buchdesign: Elena Spangenberg
Herstellung: PS VERLAG
www.psverlag.de

Leseprobe

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Beim Zahnarzt Dr. Plagemann

Paul hatte Zahnschmerzen. Ausgerechnet am Samstagmorgen fing es an. Zuerst kümmerte es ihn kaum, aber da waren die Schmerzen noch nicht so schlimm. Doch nach dem Mittagessen wurden sie immer stärker und er musste etwas dagegen tun!

Also machte er einen Kopfstand. „Vielleicht tut es dann weniger weh, wenn das Blut anders herumfließt“, überlegte er. Aber gegen die Zahnschmerzen half es nicht. Nur sein Taschenmesser und ein paar alte Bonbons fielen aus seinen Hosentaschen heraus.

Als nächstes versuchte es Paul mit Kaugummi. Er kaute und kaute. Doch als er sich auf den schmerzenden Zahn biss, schrie er laut auf. Kaugummi ist auch kein so gutes Mittel gegen Zahnschmerzen, das stand schon mal fest!

Endlich hatte er eine wirklich prima Idee. Er erinnerte sich an den Ratschlag seiner Oma. Sie hatte einmal gesagt, dass man Eis auf eine schmerzende Stelle tun muss, dann gibt es keine Beule. Wenn Paul in den Spiegel blickte, sah er auf der linken Seite an seiner Backe eine Beule. Genau da, wo es schmerzte.

„Eis ist eine gute Idee!“, dachte Paul, „Und außerdem hatte seine Oma immer Recht.“ Schnell rannte er in die Küche zum Gefrierschrank. Aufmerksam prüfte Paul seine kostbaren Eisvorräte. Er hatte Pfirsicheis, Himbeereis mit Vanille und natürlich sein extra großes Schokoladeneis am Stiel. Das war sein Lieblingseis! Ganz bestimmt würde es helfen! Paul nahm es aus dem Eisschrank heraus und rannte damit zurück in sein Zimmer.

Der Schmerz im Mund piekste und bohrte, dass er es kaum noch aushalten konnte. Paul setzte sich auf einen Stuhl und wickelte das Eis aus. Genüsslich fing er an, daran zu lutschen. Zuerst schmeckte es, obwohl er wegen seiner Zahnschmerzen gar keinen rechten Appetit hatte. Nicht mal auf sein Lieblingseis! Aber als das kalte Eis an den schmerzenden Zahn kam, wäre er fast an die Decke gesprungen. Diesmal hatte sich seine Oma wohl geirrt! Oder hatte er etwas falsch gemacht? Ihm fiel ein, dass die Oma gesagt hatte, man muss das Eis auf die Beule legen, vielleicht sollte man es gar nicht essen?

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Paul nahm das Schokoladeneis und hielt es sich an die geschwollene Backe. Und tatsächlich – es half! Der Schmerz ließ ein wenig nach. Also konnte man sich auf seine Oma doch verlassen! Die Kinderzimmertür ging auf. Seine Mutter kam herein und meinte: „Was ist denn los, willst du heute gar nicht runtergehen zum Spielen?“ Aber als sie ihn ansah, wurden ihre Augen immer größer. Sie schaute so entgeistert, als würde in diesem Augenblick ein Ufo in Pauls Zimmer landen.

„Aber Junge, was machst du denn da?“, fragte die Mutter entsetzt.

„Ich kühle nur meine Beule“, versuchte Paul sie zu beschwichtigen.

„Mit Schokoladeneis?“, rief sie und ihr Gesichtsausdruck wurde kein bisschen freundlicher, als sie fragte: „Was für eine Beule?“

Er fand, seine Mutter tat wirklich so, als hätte er versucht, ein Feuer mitten auf dem Teppich zu machen. Paul verstand ihre Aufregung nicht.

„Ich habe Zahnschmerzen ...“, erklärte er, „und meine Backe ist dick geworden ... und Oma hat doch gesagt, man soll Eis auf die Beule legen. Also habe ich das gemacht!“

Eine Weile schien die Mutter zu überlegen. Oder sie war einfach sprachlos? Dann nahm sie Paul das Eis aus der Hand und legte es auf den Tisch. Sie sah ihm scharf in die Augen und fragte: „Wie lange hast du schon Zahnschmerzen?“

„Och, schon ziemlich lange!“, Paul brauchte eine Weile, um die Stunden seit dem frühen Morgen zusammenzuzählen.

Aber mit der Uhrzeit kam er noch nicht so recht klar, obwohl Rechnen eigentlich sein Lieblingsfach in der Schule war. Schließlich war er schon im letzten Jahr im September eingeschult worden und jetzt hatten wir März. Er ging also schon ... ehm ... wie viele Monate zur Schule? Aber mit den Monaten war das auch so eine Sache! Und mit diesen grässlichen Zahnschmerzen konnte man sowieso nicht vernünftig denken.

Die Mutter musterte ihn noch immer genau. Erst sah sie auf die eine Backe, dann auf die andere.

„Ja, die linke Seite ist wirklich ein wenig geschwollen“, schlussfolgerte sie, „Mach mal bitte den Mund auf!“

„A-ah!“, Paul sperrte den Mund auf wie ein hungriges Vögelchen.

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Die Mutter sah hinein und schüttelte den Kopf. „Da hinten ist ja ein ganz schwarzes Loch! Hast du dir die Zähne immer richtig geputzt?“

Paul überlegte laut: „Doch, hab ich ... ich glaube vor drei Tagen oder vier ...“

„Und letzte Woche am Sonntag!“, ergänzte er stolz, „Sonntags putze ich mir nämlich immer die Zähne!“

Sonderlich begeistert schien die Mutter von seiner Antwort nicht zu sein. „Ich dachte, du putzt dir deine Zähne jeden Tag? Du weißt doch, dass du das tun sollst!“

„Hm“, natürlich wusste Paul das. „Aber das ist doch so langweilig, immer dasselbe jeden Morgen und jeden Abend“, murrte er.

„Und Zahnschmerzen findest du wohl toll?“, die Mutter schien dafür kein Verständnis zu haben.

„Nein, find ich echt blöd! Aber das Eis hat gut dagegen geholfen!“

Paul wollte schon aufstehen, um sich sein Schokoladeneis wiederzuholen. Mit Entsetzen sah er, dass es auf dem Tisch zerschmolzen war. Sein schönes Eis war nur noch eine klebrige braune Pfütze, die langsam auf den Boden tropfte.

„Du, lieber Himmel!“, rief die Mutter aus. Im selben Augenblick hatte sie auch das geschmolzene Eis auf dem Tisch bemerkt. Schnell lief sie in die Küche und holte einen Lappen. Und sein schönes Eis wurde einfach weggewischt.

Gleich danach nahm sie Paul an die Hand und führte ihn ins Bad. Beinahe hätte er laut losgelacht, als er sich im Spiegel erblickte. Er sah aus, als hätte er soeben ein Moorbad genommen. Sein ganzes Gesicht war mit Schokoladeneis voll geschmiert. Nicht mal die vielen Sommersprossen auf der Nase konnte man noch erkennen. Und seine strohblonden Haare leuchteten noch heller, als Kontrast zum schwarzbraun bekleckerten Gesicht. Jetzt verstand er auch, warum ihn die Mutter vorhin so entgeistert angestarrt hatte.

Er nahm einen Waschlappen und wusch das Gesicht gründlich sauber. Dann gab ihm die Mutter frische Sachen, denn auch sein Pullover und die Hose waren mit Schokoladeneis voll gekleckert. Schließlich erklärte sie ihm, dass sie sofort zum Zahnarzt fahren müssten und verfrachtete ihn ins Auto.

Ohne dass sie auch nur einmal auf seine Einwände achtete, fuhr sie schnurstracks zu Doktor Plagemann in die Steinstraße.

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Dort ging es die enge alte Treppe mit den knarrenden Stufen hoch und allmählich wurde es Paul mulmig zumute. Als sie oben waren, musste er sich auf einen Stuhl in das Wartezimmer setzen. Inzwischen ging seine Mutter zum Doktor, um ihn anzumelden. Das Wartezimmer war ganz leer. Nur eine alte Frau saß ihm direkt gegenüber. Sie hatte eine abgeschabte graue Tasche auf den Knien und ein weißgrau kariertes Kopftuch umgebunden. Durch ihre dicke Brille musterte sie Paul durchdringend. Am liebsten wäre er seiner Mutter hinterhergelaufen.

Als ob sie seinen Gedanken erraten könnte, lächelte die alte Frau ihn plötzlich an. Sie stand auf und setzte sich neben ihn. Im Gegensatz zu ihrem gräulichen Aussehen sprach sie ganz freundlich: „Na, mein lieber Junge, du hast wohl Zahnschmerzen, dass du am Sonnabend zum Zahnarzt musst?“

Vielleicht war sie eine Hellseherin, überlegte Paul. In einem Buch hatte er schon mal das Bild einer Hellseherin gesehen. Die hatte auch ein Kopftuch umgebunden gehabt.

„Du putzt dir wohl nicht gerne die Zähne, mein lieber Junge?“, fragte die seltsame Frau weiter, ohne seine Antwort abzuwarten.

Also war sie doch eine Hellseherin! Er hatte niemals gedacht, so jemanden ausgerechnet beim Zahnarzt zu treffen!

„Warte, ich habe etwas für dich!“, murmelte sie und fing an in ihrer Tasche zu kramen.

Schließlich holte die Frau eine kleine himmelblaue Tube hervor. Sie sah sehr altertümlich aus und war mit lauter winzigen silbernen Sternen übersät. In der Öffnung steckte ein schlanker Metallstöpsel. Vorsichtig sah sich die alte Frau um: „Hier, mein lieber Junge, das ist für dich! Aber du darfst es niemals jemandem zeigen, auch nicht deiner Mutter! Hast du mich verstanden?“

Wieder sah sie ihn mit ihrem durchdringenden Blick an. Paul wurde es unheimlich. Außerdem hatten ihm seine Eltern eingeschärft, dass er niemals etwas von fremden Leuten nehmen darf.

Doch bevor er etwas erwidern konnte, hatte ihm die alte Frau schon die himmelblaue Tube in die Hand gedrückt. Dann beugte sie sich ganz dicht an sein Ohr und flüsterte: „Das ist eine verzauberte Zahnpastatube, sie wird niemals leer und alles andere wirst du schon selbst sehen! ... Aber verstecke sie gut, damit sie kein anderer zu Gesicht be12 kommt! Sonst verliert der Zauber seine Kraft und du wirst es bereuen, mein Junge!“

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Gerade, als er die Schritte seiner Mutter auf dem Flur hörte, stand die alte Frau von ihrem Stuhl auf und verließ im selben Augenblick das Wartezimmer. Fast kam es Paul vor, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Er blickte auf die kleine himmelblaue Tube mit den winzigen silbernen Sternchen in seiner Hand. Sie war tatsächlich noch da.

Schnell ließ er sie in seine Hosentasche gleiten, bevor seine Mutter hereinkam und sich neben ihn setzte.

„Wir sind gleich dran!“, meinte sie, „Ein Glück, dass Doktor Plagemann heute am Sonnabend Schmerzsprechstunde hat!“

Warum das so ein Glück war, konnte Paul nicht recht verstehen. Aber die Erwachsenen sprechen ja manchmal in Rätseln. Genauso wie die alte Frau, die ihm gerade die kleine himmelblaue Tube mit den silbernen Sternen geschenkt hatte.

Das Geheimnis wird gelüftet Es war wirklich schlimm gewesen beim Zahnarzt! Mit seinem schrecklich quietschenden Bohrer hatte der Dr. Plagemann ihn ziemlich übel traktiert. Und als Paul wieder zu Hause in seinem Zimmer saß, tat seine Backe immer noch weh. Da hätte er sich den Zahnarztbesuch auch sparen können!

Jetzt verstand er auch, warum der Vater, wenn er zum Zahnarzt musste, immer sagte: „Da kommt der Zahnarzt Plagemann, gleich plagt er dich, so gut er kann!“

Aber er dachte auch an etwas anderes. Immer noch sah er die alte Frau mit dem Kopftuch und der abgeschabten grauen Tasche vor sich. Und er spürte den Schauder, als sie ihm ins Ohr geflüstert hatte. Und ... flugs stand er auf und kramte in seiner Hosentasche. Da kamen allerhand Dinge zum Vorschein: ein altes Taschentuch, ein ziemlich klebriger Himbeerbonbon und fünf Kieselsteine für seinen Katschi. Und natürlich ganz zuletzt: die himmelblaue Tube mit dem Metallstöpsel! Vielleicht sollte er sie mal ausprobieren?

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Auf Zehenspitzen schlich er sich ins Badezimmer. Vorsichtig drehte er die Tube in der Hand und betrachtete sie von allen Seiten. Was würde wohl passieren, wenn er den Stöpsel herauszöge? Zuerst vergewisserte er sich, ob die Luft rein war. Leise schlich er zur Tür und lauschte. Als alles still blieb, ging er zurück zum Waschbecken, auf dem er die himmelblaue Tube liegengelassen hatte.

Irina Dessert: Zahnpastatube

Er zögerte noch. Vorsichtig strich er über den Metallstöpsel. Es gingen ihm eine Menge Gedanken durch den Kopf. Aber letztendlich siegte seine Neugier.

Kurz entschlossen zog er den Stöpsel heraus und hielt dabei den Atem an. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die offene Tube und es geschah ... erst mal gar nichts.

Paul sah in die Öffnung hinein, aber es war absolut nichts zu erkennen. Er hielt sich die Tube vor die Nase und roch daran. Es duftete ganz zart nach Kirschen. Jedoch passierte ansonsten nicht das geringste.

Paul war enttäuscht. Ehrlich gesagt, war er sogar sehr enttäuscht. Und er hatte gedacht, es wurde mindestens furchtbarer Qualm oder ein dienstbarer Geist wie bei Aladin aus der Tube entweichen. Was sollte er nun damit anfangen? Etwa die Zähne putzen? Dazu hatte er sonst schon keine Lust und jetzt nachdem er beim Zahnarzt gewesen war, erst recht nicht.

Aber da wirklich nichts passierte, musste er doch irgend etwas anfangen mit dieser Tube. „Und so was nennt sich nun verzaubert! Dass ich nicht lache!“, murmelte Paul ärgerlich.

Er nahm seine Zahnbürste und drückte vorsichtig auf die Tube. Wie ein dünner rosafarbener Wurm schlängelte sich die Paste hervor. Paul strich sie auf seine Zahnbürste und roch vorsichtshalber noch mal daran. Sie duftete immer noch sehr gut nach Kirschen. Eigentlich gefiel Paul dieser Geruch. Sollte er es wirklich probieren? Er zögerte noch immer. Die alte Frau, die ihm die Tube geschenkt hatte, war ihm nicht geheuer gewesen.

Wenn die Zahnpasta nun vergiftet ist, schoss es ihm durch den Kopf. Oder man wird verwandelt, wenn man davon kostet? Vielleicht in einen Frosch oder in einen dreibeinigen Küchentisch? Paul fand diese Gedanken nicht gerade ermutigend. Doch es half alles Grübeln nicht.

„Hm ...“, er seufzte. Irgendwie musste er doch hinter das Geheimnis kommen. Paul musste also in den sauren Apfel beißen und steckte die Zahnbürste mit der rosaroten Paste in den Mund.

„Mm ...“, unwillkürlich leckte er etwas von der Paste ab. Sie schmeckte nach richtigen Kirschen. Da wurde ihm das Putzen sicher nur halb so schwer fallen, obwohl ... wenn das alles war, was diese angebliche Zaubertube zu bieten hatte ... Paul war wirklich schwer enttäuscht und wollte die Zahnbürste schon aus der Hand legen.

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Da hörte er ein Geräusch. Es klang wie ein leises Zischen und kam von der Tube, die vor ihm auf dem Waschbeckenrand lag. Ohne dass er etwas dazu getan hatte, drängten sich feine Bläschen aus der Öffnung. Der Schaum kräuselte sich auf dem Waschbecken und es kam immer mehr hervor. Das zischende Geräusch wurde lauter. Es hörte sich genauso an, als würde er sich eine ganze Tüte Brausepulver auf einmal in den Mund schütten.

Verwundert nahm Paul die Tube in die Hand und sah hinein. Der Schaum lief über seine Finger und tropfte nach unten auf den Fußboden. Das war ihm nun doch zuviel. Schnell nahm er den silbernen Stöpsel und steckte ihn hinein, um den Schaum aufzuhalten.

„Aua!“, ertönte im selben Augenblick ein spitzer Ruf.

Paul drehte sich erschrocken um. Aber hinter ihm stand keiner. Im ganzen Badezimmer war niemand zu sehen.

„Aua!“, rief es noch einmal.

Hastig legte Paul die himmelblaue Tube zurück auf das Waschbecken. Es schien ihm, als wäre der Schrei direkt aus der Tube gekommen.

„Himmelsakrament! Lass mich raus!“, schimpfte es von dort.

Paul beugte sich hinunter und hielt sein Ohr ganz dicht an die Tube. Sollte diese Zahnpastatube tatsächlich sprechen können? Oder befand sich etwa jemand darinnen?

Seltsam, dachte Paul, nun hörte er nichts mehr. Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet?

„Öffnen! Sofort öffnen! Bei allen Heiligen!“, die Stimme wurde fordernder.

Doch Paul zögerte. So blöd war er nun auch wieder nicht und fiel auf jeden Trick herein! Wenn es nun tatsächlich irgendein bösartiger Geist wäre, der glaubte, er hätte bei ihm leichtes Spiel? Der ist aber schief gewickelt, dachte Paul bei sich. So leicht tappte er nicht in die Falle.

„Warum soll ich dich rauslassen? Ich habe überhaupt keine Lust dazu!“, erwiderte er entschlossen. Mit klopfendem Herzen erwartete er die Antwort, aber in der Tube blieb es still.

„Hm ...“, Paul überlegte. Was sollte er nun machen? Vorsichtig lockerte er mit zittrigen Fingern den Stöpsel und wartete. Sofort schob sich wieder der Schaum heraus. Er zischte und brauste. Mit einem Ruck sprang ihm der Stöpsel aus der Hand und kullerte ins Waschbecken. Hastig wollte er ihn wieder hineindrücken, aber es war schon zu spät.

Paul stand wie angewurzelt, nicht einen Finger konnte er rühren. Es wunderte ihn, dass er überhaupt noch atmete – so erstarrt war er vor Schreck. Etwas ungeheuerliches schob und drückte sich mühsam aus der engen Öffnung der Tube heraus. Es streckte sich kurz und fing sofort an, auf dem Waschbeckenrand schnüffelnd hin und her zu laufen. Paul blickte wie gebannt darauf. Das seltsame Wesen maß kaum mehr als ein kleiner Finger. Sein Fell war ganz zottig, in der Farbe wie die eines Eichhörnchens. Der lange Schwanz reichte hinunter bis zu seinen Füßen. Unablässig schwang es ihn hin und her, so wie eine Katze, wenn sie aufgeregt ist. Sein Kopf ähnelte dem einer Fledermaus, nur dass die Augen viel größer waren und ... Paul musste zweimal hinsehen, um es zu glauben! Sie leuchteten orangerot wie ein Sonnenuntergang.

Genauso merkwürdig an diesem unheimlichen Geschöpf waren die durchsichtigen Libellenflügel auf seinem Rücken. Erst recht die langen Krallen an seinen Pfoten und die spitzen Zähne, welche aus seinem Mund hervorblitzten, gaben ihm trotz seiner Winzigkeit ein nicht ungefährliches Aussehen. „Ein Kobold!“, murmelte Paul entgeistert, „Das ist bestimmt ein Kobold oder so was ähnliches!“

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Noch im selben Augenblick sprang dieses kleine Ungeheuer auf seine Zahnbürste. Paul standen vor Entsetzen die Augen weit offen.

Aber dieses winzige Untier lachte nur, als es Pauls Schrecken bemerkte. Das schien ihm einen Heidenspaß zu machen!

„Hi, hi, hi!“, kicherte es.

Im Gegensatz zu seinem zottigen Äußeren hatte es ein dünnes hohes Stimmchen. „Hi, hi, hi, du schaust aus, wie jemand, dem es in die Suppe regnet, hi, hi!“

Nun setzte es sich rittlings auf Pauls Zahnbürste und rief: „Huh hott!“, und befahl: „Nun fang schön an! Aber ordentlich mit Schwung, dass man schon reiten kann! Hüh hott!“

Obwohl Paul es eigentlich nicht wollte, tat er automatisch, was das unbekannte Wesen verlangte.

Als Paul die Zahnbürste in den Mund schob, sprang es flugs an das andere Ende. Abermals schrie es: „Huh hott!“ und fing an, wild hin und her zu hopsen. Hoch und runter, vor und zurück und immer toller wurde das Treiben des kleinen Ungeheuers. Lauter und lauter jauchzte es, bis es schließlich seine Flügel ausbreitete. Ssst – sauste es durch die Luft und verschwand.

Paul war vor Schrecken noch immer ganz versteinert. Abwechselnd starrte er auf seine Zahnbürste und auf die geheimnisvolle himmelblaue Tube, aus der soeben ein leibhaftiges Ungeheuer entsprungen war.

Wie benommen von diesen seltsamen Ereignissen trottete er in sein Zimmer. In seiner Verwirrung dachte er überhaupt nicht mehr an seine Zahnschmerzen. Und als sie ihm wieder einfielen, erschienen sie ihm lange nicht mehr so schlimm. Er musste nur noch an dieses seltsame rotbraune Wesen denken, das aus dieser Zaubertube entsprungen war, und er überlegte, ob er es wiedersehen werde.

„Das hatte also die alte Frau gemeint!“, sprach er zu sich selber. Das mit dem Zähneputzen fand er zwar nicht so gut. Aber sonst ... Die Tube! Er hatte die himmelblaue Tube im Bad vergessen! Wenn sie nun seine Eltern zu Gesicht bekämen! Wer weiß, was dann passierte?

So schnell war er noch niemals ins Bad gesaust. Glücklicherweise lag sie immer noch am gleichen Fleck und der Stöpsel schimmerte im Waschbecken. Vorsichtig verschloss er die Tube, nahm sie mit in sein Zimmer und versteckte sie unter dem Bett in seiner Spielzeugkiste.

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Ein nächtlicher Besuch In der Nacht lag Paul gerade im schönsten Schlummer, als ein Wind durchs Zimmer fegte. Etwas piekste Paul ins Ohr, bis der erwachte. Weil er meinte, eine Mücke habe ihn gestochen, schlug er zu.

„Au, au-weh! Oh, o-oh! O-ah, aua!“ , ertönte im selben Augenblick dicht neben seinem Ohr ein gewaltiges Geschrei.

Erstaunt knipste Paul das Licht an und siehe da, auf seiner Bettdecke saß das kleine rotbraune Wesen. Mit entsetzlichem Geheul raufte es sich seine zottigen Haare und schlug wild mit dem Schwanz auf die Bettdecke. Seine durchsichtigen Flügel zitterten und es stöhnte zum Steinerweichen: „O-oh, a-oh, aua, au-weh, o-oh!“

Paul fragte verwundert: „Was machst du denn hier? Und warum pikst du mich mitten in der Nacht ins Ohr?“

Doch das kleine Ungeheuer hörte nicht auf Pauls Worte. Es jammerte nur immerfort: „O-oh, oho, o-ah, mein Kopf! Mein armer Kopf! Er ist mir von den Schultern gerollt! Oho, oho, o-ah! Wie schrecklich, wie furchtbar, ich bin ohne Kopf!“

„Nun hör doch auf zu schreien, du weckst das ganze Haus auf!“, bat ihn Paul ratlos. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was man mit solch einem kreischenden Wesen anfangen sollte.

Aber es ließ nicht ab von seinem wilden Geschrei: „U-uh, u-hu, u-uh! Mein armer Kopf! U-uh! Mein Kopf ist mir von den Schultern gefallen! Oh- weh! Oh-je, oh-je!“

Allmählich verlor Paul die Geduld: „Was jammerst du, dein Kopf ist ja noch da, wo er hingehört!“

Ungläubig blickte das Ungeheuer auf, tastete erst seinen Kopf und dann seinen Körper ab und stellte fröhlich fest: „Tatsache, du hast Recht. Mein Kopf ist noch dran. Welch ein Glück!“

Nach dieser Feststellung gab es sofort seine kummervolle Haltung auf und fing an, auf der Bettdecke umherzuhüpfen. Dazu sang es: „Juche, juchei, ich bin nicht entzwei! Juchei, juche, es tut nicht mehr weh! Hühnerdreck und Krötenblut, nun ist alles wieder gut! Huhu, haha, ich bin wieder da!“

Paul musste ihn unterbrechen, sonst hätte er wohl die ganze Nacht so gelärmt, daher fragte er: „He, kleiner Kobold, wer bist du eigentlich und was tust du hier?“

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Bei dieser Anrede hielt das kleine Ungeheuer in seinem lärmenden Treiben inne, rollte wild mit seinen orangeroten Augen und entgegnete: „Ha, du weißt nicht, wer ich bin? Was bist du für ein armer Tropf!“

Er reckte den Kopf höher und fuhr fort: „Ha, von wegen, kleiner Kobold! Ich bin der große weltberühmte Dämon Ratzeputz I. und wer mich sieht, dem schlackern die Gedärme im Leib!“

Zum Beweis fletschte er ein wenig seine Zähne und schlug wild mit dem Schwanz. Triumphierend blickte er Paul ins Angesicht.

„Du bist also Platzerutz der Dämon!“, Paul musste grinsen, als er diesen Winzling so angeben hörte, „Nun, was willst du von mir?“

Der kleine Dämon wackelte mit seinem zottigen Kopf: „Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich nicht solche Scherze treiben!“

„Entschuldige! Ich wollte natürlich Ratzeputz sagen!“, Paul musste sich wirklich anstrengen, um ein Lachen zu unterdrücken.

Der kleine Dämon knurrte kurz, dann sprach er weiter: „Bei meinem Sargnagel, was bist du für ein vergesslicher Einfaltspinsel! Liegst auf weichen Daunenkissen und Ratzeputz der Große muss wie ein Vagabund durch die dunkle Nacht irren, als hätte er kein Zuhause!“

„Ach, die Tube hab ich versteckt, weil die alte Frau gesagt hat, dass ...“ Schnell sprang Paul aus dem Bett und kramte in seiner Spielkiste. Er hatte sie so gut versteckt, dass er selber Mühe hatte, die kleine himmelblaue Zahnpastatube zu finden. „Ich hab sie nur weggetan, damit sie niemand zu Gesicht bekommt!“, entschuldigte er sich.

Paul zog den Metallstöpsel heraus und hielt sie dem kleinen Dämon hin. Aber der machte keinerlei Anstalten, hineinzukriechen.

„Was ist denn, ich denke, du suchst deine Tube?“, Paul war unheimlich müde. Den ganzen Tag Zahnschmerzen zu haben war schon ziemlich anstrengend.

Doch der kleine Dämon ließ wieder seine hellen Augen leuchten und schlug wild mit dem Schwanz. Dann bohrte er seine spitzen Krallen in Pauls Bettdecke und kreischte entrüstet: „Das kann doch nicht dein Ernst sein? Weißt du eigentlich, wie lange ich in dieser Tube festgesessen habe?“

Paul fühlte sich ein wenig überfordert. „Nein, weiß ich nicht“, antwortete er kleinlaut.

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„Dann will ich es dir sagen!“, Ratzeputz setzte sich umständlich auf die Zudecke und begann, an seinen zottigen Krallen abzuzählen. Es dauerte lange, bis er fertig war. Dann richtete er sich auf und verkündete: „Es waren genau eintausendeinhundertelf Tage, elfeinhalb Stunden, elf Minuten und ...“

„Und elf Sekunden!“, fügte Paul etwas ungläubig hinzu.

„Nein!“, der kleine Dämon schüttelte energisch mit dem Kopf, „Nein, überhaupt nicht!“

„Wie viele Sekunden waren es denn?“, fragte Paul etwas belustigt. Er fand es ziemlich unglaubwürdig, dass jemand so genau die Sekunden wissen wollte.

„Also, ich kann das nicht im Geringsten lustig finden!“, meckerte Ratzeputz empört, „Es waren über siebenundsiebzig Sekunden! Dann habe ich aufgehört zu zählen! Und das war einzig und allein DEINE Schuld, weil DU den Stöpsel wieder raufdrücken musstest, als ich schon fast draußen war!“

Mit einer Pfote deutete er auf Paul. „Und nun willst DU mich einfach so wieder in die Tube stecken! Das ist EMPÖREND!“

Dieser Dämon scheint wirklich zart besaitet zu sein, dachte Paul bei sich, regt sich auf wegen ein paar Sekunden, wo er gerade über tausend Tage festgesessen hat.

„Es tut mir wirklich leid. Aber ich konnte ja nicht wissen, wer da aus der Tube herauskommt. Man muss schließlich vorsichtig sein!“, versuchte Paul sich herauszureden.

Nach dieser Antwort sah ihn Ratzeputz, der Dämon, erst recht entrüstet an. „Was dachtest du denn, wer aus meiner himmelblauen Tube herauskommt? Vielleicht Albert Einstein oder ein krummbeiniger grün gestreifter KOBOLD?“

Die Anrede als Kobold hatte er ihm offensichtlich übel genommen. Paul überlegte, wie er diese verfahrene Situation retten könnte. Denn schließlich war er hundemüde und wollte schlafen. „Bitte, sagst du mir, was du nun eigentlich willst!“, fragte er deshalb, um die Sache etwas abzukürzen.

Da fingen die orangeroten Augen des kleinen Dämons regelrecht an zu glühen. Er wackelte aufgeregt mit dem Kopf und sein Schwanz kräuselte sich wie eine Schlange. Schließlich drehte er sich dreimal um seine eigene Achse und verkündete: „Ich will natürlich einen Ritt auf der Zahnbürste machen! Dann kann ICH auch beruhigt in meine Tube zurückkehren und schlafen!“

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„Oh nein, nicht schon wieder!“, stöhnte Paul. Aber es half ihm nichts.

Ratzeputz stellte sich in Startposition und rief: „Sattelt die Pferde, Husaren! Auf ins Bad zum Zahnpastaritt!“ Er breitete seine durchsichtigen Flügel aus und im selben Augenblick war er verschwunden.

Paul stöhnte noch mal, aber es half ihm wohl nichts, wenn er den kleinen Dämon endlich zur Ruhe bringen wollte. Mit der himmelblauen Tube in der Hand schleppte er sich todmüde ins Bad.

Auf dem Rand des Waschbeckens sitzend, erwartete ihn bereits Ratzeputz. Er schlug ungeduldig mit den Füßen gegen das Becken und fletschte ein wenig die Zähne, wobei er ein ungeduldiges Brummen von sich gab. „Du bist noch langsamer als eine einbeinige Schildkröte! Derweil du trödelst, habe ich schon dreimal bis einhunderttausend gezählt und ...“, Ratzeputz hob bedeutsam eine Pfote in die Höhe, „... und zurück!“

„Muss das mit dem Zähneputzen wirklich sein?“, Paul fielen vor Müdigkeit fast die Augen zu.

„Ja, was hast du dagegen einzuwenden?“, Ratzeputz hatte sich bereits erwartungsvoll auf die Zahnbürste gesetzt. „Für Dämonen, die in Zahnpastatuben leben, wie ich, kann es nichts schöneres geben auf der Welt als einen Zahnbürstenritt am Abend. Hüh! Galopp!“

Ungeduldig rutschte das kleine zottige Wesen auf seinem Sitz hin und her. Paul musste wohl oder übel sich fügen. Schließlich konnte man einem leibhaftigen Dämon nicht widersprechen, selbst wenn er noch so winzig war.

Irina Dessert: Paul

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Sein ganzer Mund war schon voller Schaum von der Zahnpasta, als Paul kurz innehielt und dem überraschten Ratzeputz kundtat: „Wirklich, ich finde Zähneputzen ist die abscheulichste Beschäftigung, die ich mir denken kann!“

Natürlich spritzte beim Sprechen auch Schaum auf das zottige Fell von Ratzeputz, der sofort loswetterte: „Huh, i..., du hast mich ganz weiß gemacht, mit deinem Zahnpastaschaum, igitt, igitt! Ach nein, mein schönes rotes Fell, du bist wirklich ein Tölpel!“

Paul wunderte sich: „Ich denke, du liebst den Schaum? Schließlich wohnst du in einer Zahnpastatube!“ Doch Ratzeputz achtete nicht auf Pauls Einspruch, sondern schimpfte unablässig weiter und bemühte sich den Zahnpastaschaum von seinem zottigen Fell abzureiben. Diese Gelegenheit hatte Paul benutzt, um sich den Mund abzuwaschen und auch die Zahnbürste. Dann nahm er die Zahnpastatube und meinte: „So, nun kannst du dich schlafen legen!“

Ratzeputz schien nicht gerade begeistert. Ermahnend rollte er mit seinen großen Augen: „Denke dran! Morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, erwarte ich dich hier! Denke dran!“

„Ja, ja“, Paul musste lachen, als er das ernste Gesicht des kleinen Dämons sah.

Der schickte sich an, umständlich in die Tube zu klettern. Vorher drehte er sich noch mal um, fletschte zweimal ganz kurz mit den Zähnen und knurrte: „Denke daran!“

Dann war Ratzeputz, der kleine Dämon, in der Tube verschwunden. Schnell steckte Paul den silbernen Stöpsel hinein und versteckte sie wieder in seiner Spielkiste unter dem Bett. Schon hatte er sich unter die Bettdecke gekuschelt und war sofort eingeschlafen.

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Der Kampf mit dem Drachen

Es war Sonntag und Paul hätte eigentlich lange schlafen können. Sogar die Zahnschmerzen waren wie weggeblasen. Trotzdem wachte er schon früh auf.

Sofort fielen ihm die gestrigen Ereignisse ein. Und natürlich die himmelblaue Zahnpastatube mit den winzigen silbernen Sternchen! Wo hatte er sie nur hingetan? Er musste nicht lange überlegen. Rasch zog er unter dem Bett seine Spielkiste hervor und wühlte darin herum. Endlich hatte er sie gefunden und verbarg sie wie einen kostbaren Schatz unter seiner Schlafanzugjacke.

Eigentlich beschäftigte ihn im Moment nur eine Frage: Würde der kleine zottige Dämon mit den orangeroten Augen wieder erscheinen? Oder hatte er sich alles nur eingebildet?

Um nicht länger darüber nachdenken zu müssen, schritt er zur Tat. Schnell lief er mit seiner Zahnpastatube ins Badezimmer. Vorsichtig zog er den kleinen Metallstöpsel heraus, aber nichts geschah. Er drückte auf die Tube, da quietschte es: „Aua!“

Mühsam zwängte sich Ratzeputz heraus. Als er halb draußen war, blickte er sich schläfrig um und fragte blinzelnd: „Was ist? Himmelkruizitürken, wer stört meinen schönsten Schlummer?“

Paul nahm den kleinen zottigen Dämon vorsichtig zwischen zwei Finger und zog ihn heraus. „Ach, so war es doch kein Traum. Dich gibt es wirklich!“

Ratzeputz reckte sich. Mit den Armen stemmte er sich empor und setzte sich auf die Hand des Jungen. „Das ist ja noch nie dagewesen! Was störst du mich mitten in der Nacht?“

„Mitten in der Nacht?“, Paul war erstaunt, „Es ist schon fast acht Uhr. Hast du nicht selbst gesagt, du möchtest bei Sonnenaufgang geweckt werden? ... Der ist schon eine halbe Ewigkeit vorbei.“

„Ei, verflixt, wie kann ein kleines Menschlein nur so auf jedes Wörtlein achten. Gerade am Morgen habe ich die schönsten Träume. Und nun hast du mich darin gestört.“

Ratzeputz rieb sich die

Augen. „Verdammt, es war so ein guter Traum. Fast hätte ich es besiegt!“

„Besiegt? Was denn?“, fragte Paul interessiert.

Der kleine Dämon erhob sich, stellte sich bedeutsam in Pauls Hand auf, wedelte aufgeregt mit seinem Schwanz und rief: „Oh!“

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Dabei wurden seine glühenden Augen noch größer. „Oh! Kennst du es nicht? Gestern, nachdem du geruhtest meine Tube zu öffnen, habe ich mich in deinen Gemächern ein wenig umgesehen. Und dann, bevor es dunkel wurde, habe ich es erblickt! Ich habe ihm quasi Auge in Auge gegenübergestanden!“

Ratzeputz beschrieb mit den Armen einen großen Kreis: „So riesig ist es, kaum zu beschreiben! ... Bei meinem Schwanz, ich schwöre es. Und es faucht und zischt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Man glaubt, es wäre die Hölle, solch ein Getöse gibt es von sich!“

„Die Hölle!“, Paul lächelte ungläubig, „Und davor fürchtest du dich? Ich denke, du bist ein großer gefährlicher Dämon?“

„Ach was!“, Ratzeputz war ein wenig ärgerlich, „Was weiß du davon! Aber das Ungetüm, von dem ich geträumt habe, es existiert, und es wohnt hier. Unter diesem Dach treibt es sein Unwesen!“

„Was erzählst du, das kann nicht sein! Ich habe hier noch nie ein Ungeheuer erblickt.“

„Ha!“, Ratzeputz reckte seine Brust und schüttelte seine zottigen Haare. „Aber ich habe seinen fauchenden Atem gehört! Durch alle Zimmer dieser Wohnung ist es geschlichen. Kein Hindernis konnte es aufhalten ... Es muss ein böser Fluch an diesem Gemäuer haften! Das weiß ich genau. Aber ich werde es zur Strecke bringen, das Ungetüm, so wahr ich Ratzeputz I. bin!“

Paul hatte den kleinen Dämon auf dem Waschbeckenrand abgesetzt. Neugierig geworden fragte er: „Sag mal, wie sieht es denn aus, dein Ungeheuer?“

Bevor er weitersprach, kletterte Ratzeputz auf den Wasserhahn und setzte sich gemütlich darauf nieder. Nun sperrte er die Augen so weit auf, dass sie ihm fast aus den Höhlen rollten und fing an, zu berichten: „Am besten, du stellst es dir vor wie einen Drachen. Ja, ein leibhaftiger Drache! Nur, dass er kein Feuer speit, sondern die Luft verschluckt! Oh, es hat einen riesigen Leib, der ist hart wie aus Stein, keine Waffe kann ihm etwas anhaben, und es hat keinen Kopf, sondern nur einen langen Rüssel. Mit dem frisst es alles, was in seine Nähe kommt. Und das abscheulichste an ihm ist ...“, der kleine Dämon unterbrach sich kurz und winkte den Jungen näher heran.

Dann flüsterte er weiter: „Es hat einen ganz dünnen, ganz langen Schwanz. Der ist so lang, dass man sein Ende gar nicht sehen kann! Mit dem kann es die Wände durchbohren. Wenn es satt ist, in der Ecke liegt und schläft, trägt es diesen Schwanz zusammengerollt in seinem Bauch. Aber wer sich ihm nähert, der ist verloren! Gewiss kann es jeden fangen! Oh, ich sage dir, sieh dich nur vor!“

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Nach dieser bedeutungsvollen Rede hopste Ratzeputz vom Wasserhahn herunter, stieß mit dem Fuß gegen den Zahnputzbecher und gab bekannt: „Aber heute ist seine Stunde gekommen! Dann hat es ausgespielt! Ratzeputz, der große Dämon, wird den furchtbaren Drachen besiegen!“

Ratzeputz war um den Zahnputzbecher herumgelaufen und hieb wie zur Bestätigung seiner Stärke die Krallen in den Plastebecher. Dann fletschte er die Zähne und gab ein wildes Kriegsgeheul von sich. Nach dieser Vorstellung sah er Paul mit seinen großen Augen herausfordernd an und rief: „Und nun, mein Freund, satteln wir die Pferde! Auf geht ’s ... Na los! Worauf wartest du?“

Schnell schwang er sich auf den Stiel der Zahnbürste und Paul sah sich gezwungen, dem Willen des kleinen Dämons nachzugeben und sich die Zähne zu putzen.

Abermals war Ratzeputz nicht zu bremsen, er trieb es so toll, dass Paul sich vor Lachen fast verschluckte. Prustend unterbrach er das Putzen, denn Ratzeputz war ganz aus dem Häuschen. Er tanzte auf der Zahnbürste, klatschte sich auf die Schenkel und auf den Bauch und sang mit lauter Stimme: „So ein Tag, so wunderschön wie heute ...“

Im selben Moment ging die Badezimmertür auf. Paul erschrak. Sofort wollte er den kleinen Dämon verstecken, aber in seiner Aufregung konnte er nur schnell die himmelblaue Zahnpastatube greifen und in seiner Hand verbergen.

Die Mutter sah zur Tür herein und fragte verwundert: „Nanu, was machst du denn hier, das so lustig ist?“

Entgeistert sah Paul Ratzeputz an. Doch der lachte nur, rieb sich die Pfoten und meinte: „Du guckst wie ein Rollmops im Marmeladenglas! Aber du sorgst dich ganz umsonst, niemand außer dir kann mich sehen oder hören! Juchu!“ Und der kleine Dämon tanzte weiter auf der Zahnbürste und sang: „So ein wunderschöner Tag ...“

Erleichtert machte Paul ein unschuldiges Gesicht und versuchte sogar zu lächeln.

„Herrje, diesen Tag müssen wir rot im Kalender ankreuzen!“, rief die Mutter, „Du putzt dir ohne langes Reden freiwillig die Zähne? Dann hat der Besuch beim Zahnarzt also doch etwas genützt!“

„Hm ...“, Paul wusste nicht so recht, was er antworten sollte, „So schlimm ist das Zähneputzen ja eigentlich gar nicht. Ist sogar ganz lustig!“

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„Na dann, lass dich nicht stören!“, sagte die Mutter und schloss wieder die Tür hinter sich.

„Da siehst du es einmal!“, Paul war ein wenig ärgerlich auf Ratzeputz, „Wegen dir muss ich schwindeln. Und jetzt denken alle, Zähneputzen ist meine Lieblingsbeschäftigung!“

Der kleine Dämon machte sich nichts aus seinem Schimpfen. Soviel Spaß hatte er ja schließlich schon seit eintausendeinhundertelf – Verzeihung – eintausendeinhundertzwölf Tagen nicht bei seinem morgendlichen Frühsport gehabt.

Laut verkündete er: „Heute ist der letzte Tag des Ungeheuers gekommen! Seine Stunden – ach was sage ich – seine Minuten sind gezählt!“

Noch einmal fletschte er kurz seine Zähne und rollte wild mit den Augen. Dann breitete er seine Flügel aus und flog sirrend wie eine Libelle davon.

Paul beeilte sich, die Zahnbürste und die Zahnpastatube wegzuräumen. Da hörte er die ärgerliche Stimme seiner Mutter von draußen: „Was stellst du für einen Unfug an! Lass das gefälligst, und zieh mir nicht immer den Stecker aus der Steckdose! Ich dachte, du wärst nun allmählich zu alt für solche Späße!“

Paul wunderte sich, über wen sich seine Mutter so aufregte.

Aus dem Wohnzimmer war der Staubsauger zu hören, also ging er dorthin, um zu sehen, wen seine Mutter gemeint haben könnte. Doch kaum hatte er sie erblickt, fing das Schimpfen von Neuem an: „Sag mal, was treibst du für Späße, mir laufend den Stecker beim Staubsaugen herauszuziehen?“

„Aber ich habe doch gar nichts gemacht!“, wollte Paul sich rechtfertigen.

Doch seine Mutter schien ihm nicht zu glauben: „Wer soll es denn sonst gemacht haben?“

Sie deutete mit dem Zeigefinger auf einen Stuhl:

„Du bleibst hier solange, bis ich fertig bin!“ „Hm“, Paul setzte sich. Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr.

Missmutig über die unverdiente Bestrafung saß er auf dem Stuhl. Er sah seiner Mutter beim Staubsaugen zu und zerbrach sich den Kopf, was wohl der Grund dieser merkwürdigen Ereignisse sein könnte. Durch einen Schrei wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

„Ha! Ha, jetzt zeig ich ’s dir!“

Paul wäre vor Erstaunen fast vom Stuhl gefallen. Allmählich fing er an zu begreifen. Vor dem Staubsauger hüpfte sein kleiner Dämon umher. Er hatte eine Rouladennadel als Schwert in der Hand und hieb damit auf den Schlauch des Staubsaugers ein.

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Nur schwer konnte sich Paul beherrschen, um nicht laut zu lachen. Seine Mutter wunderte sich schon über seine augenscheinliche Freude. Aber sie sagte nichts, sondern saugte unablässig weiter. Unter dem Tisch, hinter den Sesseln, unterm Regal. Sie schien es heute besonders gründlich machen zu wollen. Immer vor und zurück ging es.

Der kleine Dämon hatte es schwer, hinterherzukommen. Unablässig sprang er um den Staubsauger herum und stieß dabei ein unerhörtes Kampfgeschrei aus.

Irina Dessert: Kampf mit dem Drachen

„Ha! Da hast du! Und da!“, rief er bei jedem Hieb, den er dem Ungetüm versetzte, „Ja, fauch du nur! Winde dich nur umher und versteck dich unter Tischen und Stühlen, wie eine feige Laus! ... Ich werde dich zerquetschen! Ha! Der ist für dich! Und noch einer! Wart ’s nur ab, wenn ich dir erst den Rüssel abschlage!“

Ratzeputz kreischte, so war er bei dem Kampf außer Atem geraten. Er wirbelte durch die Luft, tauchte bald hier, bald dort auf. Er schien nicht müde zu werden. Mit ganzer Kraft stach der kleine Dämon zu. Die Rouladennadel war schon ganz verbogen. Sein Geschrei wurde immer wilder. In der Hitze des Gefechts vergaß er sogar seine Angst vor dem Schlund des Ungeheuers und wagte sich ganz dicht heran.

Aber der Luftsog des Staubsaugers brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Ratzeputz stemmte sich vergeblich dagegen. Er fiel hin und wurde unweigerlich hineingesogen. Seine Beinchen waren schon verschwunden. Verzweifelt fuchtelte er mit den Armen. Sein verbogener Spieß verklemmte sich in der Bürste des Staubsaugers. Daran klammerte er sich mit ganzer Kraft und schrie: „Hilfe! Zu Hilfe! Der Drache will mich fressen! Oh, er verschlingt mich! Hilfe!“

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Natürlich wollte Paul sofort hinzuspringen, um seinen Dämon aus der Not zu befreien. Aber da hatte sich seine Mutter schon gebückt und, da sie Ratzeputz weder sehen noch hören konnte, zog sie nur die Rouladennadel aus der Bürste. Mit einem glucksenden Geräusch verschwand der kleine Dämon im Innern des Staubsaugers.

Die Mutter besah sich die Nadel: „Was hier aber auch alles herumliegt! Da kann ich lange suchen!“, und steckte sie in ihre Schürzentasche.

Paul hätte fast vor Schreck aufgeschrien. Zu spät. Niemand würde ihm glauben, dass der Zahnpasta Dämon Ratzeputz I. soeben im Staubsauger geendet hatte. Traurig verfluchte er dieses Ungetüm, von dem sein kleiner Freund soeben eingesaugt worden war.

Wie rettet man einen Dämon?

Lange starrte Paul wütend auf den Staubsauger. Bis ihm der Gedanke kam, dass Ratzeputz vielleicht noch zu retten wäre. „Schließlich zwängt er sich auch jeden Abend in die enge Zahnpastatube“, überlegte er. Warum sollte er nicht auch aus dem Staubsauger wieder herauskommen? Aber bestimmt nicht von allein! Angestrengt grübelte Paul, wie er es anstellen könnte, um Ratzeputz zu befreien. Er beschloss abzuwarten, bis seine Mutter aufhörte mit dem Saubermachen und den Staubsauger in die Ecke stellte.

Lange brauchte Paul nicht zu warten. Die Mutter war bald fertig. Ein wenig skeptisch sah sie ihn zwar immer noch an, aber ihr Groll von vorhin schien schon weitgehend gewichen. Sie nahm ihre Jacke von der Garderobe im Flur und meinte: „Ich muss noch mal schnell rüber zu Oma Schulze. Sie wollte mir das Rezept für den Kuchen geben. Willst du mitkommen?“

Sonst war er immer ganz wild darauf, zu Oma Schulze zu gehen. Schließlich bekam er dort immer etwas zum Naschen geschenkt und Oma Schulze konnte auch solch interessante Geschichten von früher erzählen. Die hörte er für sein Leben gerne.

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Doch heute hatte er nur einen Gedanken: Er musste seinen Freund Ratzeputz retten!

„Na, was ist, willst du nicht mitkommen?“, fragte seine Mutter erstaunt, als er keine Anstalten machte, sich anzuziehen.

„Och, nein. Ich hab heute keine Lust“, tat Paul gelangweilt, „Und außerdem muss ich noch mein Zimmer aufräumen!“

Das müsste die Mutter überzeugt haben: „Na, es wird auch langsam Zeit!“

Kaum hatte sich die Wohnungstür hinter ihr geschlossen, stürzte Paul zum Staubsauger und schleppte ihn in die Küche. Er pochte an das Gehäuse und rief, in der Hoffnung ein Lebenszeichen von Ratzeputz zu vernehmen. Alles war mucksmäuschenstill. Zum Glück hatte er einmal zugesehen, wie die Mutter den Staubbeutel ausgewechselt hatte. Nach einigen Versuchen bekam er den Staubsauger auf. Schnell riss er den Beutel heraus.

Der Staubbeutel war schon ziemlich voll und Paul verschüttete in seiner Aufregung etwas auf dem sauberen Fußboden. Doch darum kümmerte er sich in diesem Moment nicht. Vorsichtig legte er den Beutel auf den Tisch und sah hinein.

Da hörte er es schon prusten und niesen. Der Beutel geriet in Bewegung. Langsam wühlte sich etwas aus dem Staub heraus. Wenn Paul es nicht gewusst hätte, hätte er ihn für eine Maus gehalten, so grau war Ratzeputz nun überall. Nur seine hellen orangeroten Augen blitzten hervor. Noch stand der kleine Dämon bis zum Bauch im Dreck, als er heftig hustend losschimpfte: „So ein verdammter Mist, da kriegt man reineweg keine Luft. Etwas abscheulicheres habe ich meinen Lebtag nicht gesehen! Pfui, Deibel!“

Ratzeputz begann sich den Schmutz vom Fell zu klopfen und wirbelte dabei ungeheure Staubwolken auf. Natürlich musste er ununterbrochen niesen. Erst nach einer Weile hielt er inne, räusperte sich und verkündete stolz: „Elf mal hintereinander! Das ist neuer Rekord! Bisher ...“, erklärte Ratzeputz, „... bisher habe ich es einmal ... vor langer Zeit ... um die Mittagsstunde herum ... geschafft, neun mal hintereinander zu niesen. Welch ein großes Glück! Niemals hätte ich gedacht, dass ich meinen Rekord nochmals überbieten könnte. Es ist wirklich ein guter Tag heute!“

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Ratzeputz begann von neuem sich abzuklopfen und Staub aufzuwirbeln, da wurde es Paul zuviel.

„He, warum kommst du nicht erst mal ganz aus dem Beutel raus, bevor du dich sauber machst?“

Entrüstet blickte Ratzeputz auf und belehrte ihn:

„Ich kann mich doch so nicht draußen sehen lassen. Beim besten Willen, mein ganzes schönes Fell ist versaut, Himmelsakrament!“

„Du hast Sorgen!“ Paul nahm seinen kleinen Dämon aus dem Staubbeutel heraus und setzte ihn auf den Küchentisch. Dann machte er schnell den Staubsauger wieder zu und brachte ihn in den Flur zurück. Und es wäre sicher unbemerkt geblieben, wenn Ratzeputz nicht inzwischen allen Staub von seinem Fell in der Küche verteilt hätte.

Im selben Moment, als die Mutter die Wohnungstür aufschloss, sah Paul die Bescherung. Der ganze Küchentisch war übersät mit grauen Tapsen. Er sah an den Spuren, dass Ratzeputz am Tischbein hinuntergeklettert war. Danach war er über den Küchenboden gelaufen, wo er den restlichen Staub gleichmäßig verteilt hatte. Noch bevor Paul entdecken konnte, wo der kleine Dämon sich im Moment befand, trat seine Mutter in die Küche. Sofort sah sie den Schmutz überall.

Diesmal seufzte sie nur: „Nun nimm wenigstens den Lappen und wisch den Dreck weg! Ich möchte nur wissen, was heute in dich gefahren ist?“

Obwohl Paul sich mit dem Wegwischen beeilte, brauchte er ziemlich lange, weil Ratzeputz durch die ganze Küche, in jede Ecke und jeden Winkel gelaufen war.

Wo ist er nur hin? Irgendwo muss er doch sein? Suchend blickte Paul sich um. Er befürchtete, dass Ratzeputz inzwischen aus der Küche gelaufen war und nun den Staub in der ganzen Wohnung verteilte. Dann würde er vor lauter Saubermachen heute überhaupt nicht mehr zum Spielen kommen. Er musste diesen wilden Dämon vorher zu fassen kriegen!

Paul schaute in jede Ritze und in alle möglichen Verstecke, aber er konnte ihn nicht entdecken. Nur zufällig fiel sein Blick nach oben. Und siehe da, dort saß Ratzeputz. Seelenruhig hockte er auf dem Rand der Küchenlampe und beobachtete interessiert, wie Paul den Boden aufwischte.

Wie sollte er nur da herankommen? Paul könnte den kleinen Dämon schließlich nicht rufen und selbst wenn, wäre es fraglich, ob er dann herunterkommen würde. Er müsste Ratzeputz überlisten. Aber wie? Sein Kopf schien ihm schon ganz angeschwollen von vielem Denken. Endlich hatte Paul eine Idee.

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Sofort, als er fertig war mit dem Aufwischen, sagte er beiläufig: „Ich gehe jetzt Zähneputzen!“

„Schon wieder?“ Die Mutter betrachtete Paul sorgenvoll. „Komm mal her!“

Sie fasste ihn an die Stirn: „Hast du vielleicht Fieber? Du bist heute so seltsam!“

Doch da sie nichts feststellen konnte, schüttelte sie nur weiter mit dem Kopf.

Paul hatte richtig gerechnet. Kaum war er aus der Küche, kam sein kleiner Dämon wie der Blitz nachgesaust und erwartete ihn, bereits auf dem Waschbeckenrand sitzend. Nicht lange zögernd packte ihn Paul fest am Kragen, drehte den Wasserhahn auf und hielt Ratzeputz darunter. Dem schien diese Behandlung nicht zu gefallen, er kratzte und biss um sich wie ein kleines Kätzchen und versuchte mit ganzer Kraft sich zu befreien. „Igitt, wie furchtbar! Erst werde ich von diesem grässlichen Ungeheuer gefressen und dann muss ich mich auch noch waschen mit Wasser ... mit leibhaftigem Wasser!“

Als er merkte, dass sein Schimpfen nichts nützte, verlegte er sich aufs Bitten: „So lass mich doch los! Das ist ja nicht auszuhalten. Ich werde noch ganz aufgeweicht! Wahrscheinlich geht auch noch die schöne rote Farbe von meinem Fell ab. Bitte, hör auf! Mir läuft schon das Wasser in die Ohren!“

Doch Paul ließ den kleinen Dämon nicht eher gehen, bis er ihm allen Staub abgewaschen hatte. Sofort sprang Ratzeputz auf den Waschbeckenrand, schüttelte sich kurz wie ein Hund und begann sein Fell an einem Waschlappen trocken zu reiben. Weil das so umständlich aussah, musste Paul laut lachen.

Aber Ratzeputz war nicht zu Späßen aufgelegt. Es schien ihm notwendig, seinem Freund den Ernst der Lage vor Augen zu führen. Nachdem er einigermaßen trocken war, setzte Ratzeputz sich würdevoll auf den Wasserhahn und begann sehr eindringlich eine Rede zu halten:

„Mein lieber Freund! Die Ereignisse haben mir noch nicht die Zeit gelassen, dir für meine Errettung zu danken. Allerdings wundere ich mich immer noch, wie du den Mut aufgebracht hast, dem Untier den Leib aufzuschneiden, um mich zu befreien. Ich hatte schon gedacht, mein letztes Stündlein habe geschlagen! Pfui!“

Ratzeputz spuckte zur Seite. „In diesem grässlich dunklen und dreckigen Bauch des Ungeheuers zu enden, wie schmählich für einen echten Dämon! Ja wirklich, ich bin fast ohnmächtig geworden vor Schreck, als es mich in seinen riesigen Schlund gezogen hat! Schaudervoll! Womit sollte ich dir meine Rettung nur vergelten?“

Ratzeputz blickte sich nachdenklich um.

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„Halt, ich hab ’s!“

In seinen Augen blitzte eine Idee auf.

„Du hast einen Wunsch frei! Ganz gleich, was es ist, ich werde ihn dir erfüllen!

Aber ...“, warnend erhob er seine zottige Hand, „bedenke, dass du nur einen einzigen Wunsch hast! Wenn du ihn aussprichst, ist er auch schon erfüllt. Egal, was es ist. Also bedenke es wohl!“

„Ja, was soll ich mir denn wünschen?“

Paul war so überrascht, dass ihm plötzlich nichts einfiel.

„Du hast Zeit, überlege es reiflich!“, ermahnte Ratzeputz ihn noch einmal. Dann sprang der kleine Dämon von seinem Sitz und spazierte sinnend auf dem Waschbeckenrand umher. Die Pfoten auf dem Rücken verschränkt und den Kopf gesenkt, wartete er mit ernster Miene auf Pauls Entscheidung.

„Ach, ich hab ’s!“, Paul hatte beim Anblick der Zahnpastatube plötzlich eine Idee, „Ich wünsche mir, dass ich nie wieder Zähne putzen muss!“

„Oh!“, der kleine Dämon stöhnte kurz auf. Dann sagte er traurig: „Dein Wunsch soll erfüllt werden!“, und verschwand.

Und so sehr Paul sich auch bemühte, seinen kleinen Dämon zu finden, er war nirgends zu entdecken.

„Nun, es wird halt wieder so ein Spaß von ihm sein!“, dachte Paul bei sich und kümmerte sich zunächst nicht weiter darum. Dass Ratzeputz ihm jeden Wunsch erfüllen könnte, hielt er im Grunde für reine Angabe.

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Ein Wunsch geht in Erfüllung

Den ganzen Tag über, als er mit seinen Freunden draußen spielte, dachte er nicht so sehr an den kleinen Dämon. Aber gegen Abend verspürte Paul schon ein bisschen Sehnsucht nach ihm.

„Am besten kann ich Ratzeputz hervorlocken, wenn ich mir die Zähne putze!“, dachte er sich und ging sogleich ins Badezimmer.

Jedoch so sehr er auch suchte, nirgends konnte er seine Zahnbürste entdecken. Sogar der Zahnputzbecher war verschwunden. Das einzige, was er noch hatte, war die kleine himmelblaue Tube mit den silbernen Sternchen. Die hatte er den ganzen Tag über sorgfältig in seiner Spielkiste versteckt gehalten. Aber nur mit der Tube alleine konnte er sich schließlich nicht die Zähne putzen. Und er wollte doch seinem kleinen Dämon eine Freude bereiten, nachdem er am Vormittag so traurig verschwunden war.

„War auch ein dämlicher Wunsch gewesen“, murmelte Paul bei sich, „wo Zähneputzen anscheinend seine Lieblingsbeschäftigung ist.“

Also suchte er das ganze Badezimmer nach seiner Zahnbürste und dem Zahnputzbecher ab. Aber es war absolut nichts zu finden.

„Was hat das nun wieder zu bedeuten?“ Verwundert ging Paul ins Wohnzimmer zu seiner Mutter und fragte sie: „Mutti, wo hast du denn mein Zahnputzzeug hingeräumt?“

„Aber Junge!“, die Mutter schien ziemlich erstaunt zu sein, „Aber Junge, was willst du damit? Du musst dir doch nicht mehr die Zähne putzen!“

„Ich muss nicht ...“, Paul war sprachlos vor Staunen, „Aber wo ist meine Zahnbürste hingekommen?“

„Ich habe alles weggeworfen“, sagte die Mutter. „Es läge doch nur unnütz herum.“

Es war tatsächlich kein Scherz. Die Mutter meinte es ernst. Der Zauber von Ratzeputz hatte gewirkt! Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen! Nur warum konnte er sich darüber nicht freuen? Traurig schlich er ins Bad zurück, nahm seine himmelblaue Zahnpastatube aus der Hosentasche und zog den kleinen Metallstöpsel heraus. Doch nichts rührte sich. Er roch den feinen Kirschduft, den die rosafarbene Paste verströmte. Aber von seinem kleinen Dämon war nicht das geringste zu sehen.

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„Ratzeputz! Warum erscheinst du nicht? Ich habe es doch nicht so gemeint! Bitte, mach meinen Wunsch rückgängig! Ich will mir auch jeden Tag mindestens fünfmal die Zähne putzen ... eine halbe Stunde lang!“

Paul fühlte sich zum äußersten entschlossen, wenn er nur seinen kleinen Ratzeputz wiedersähe!

„Meinst du nicht, dass du etwas übertreibst!“, hörte er plötzlich direkt neben sich eine Stimme, die ihm sehr bekannt vorkam.

„He, Ratzeputz, bist du da?“

„Natürlich bin ich es, wer sollte es sonst sein, vielleicht ein einarmiger Riese mit Glotzaugen?“

„Aber ich kann dich nicht sehen!“

„Siehst du, was hast du nun davon!“

Ratzeputz schien bekümmert. „Du hast mich mit deinem blöden Wunsch beleidigt und nun kannst du mich auch nicht mehr sehen, genau wie alle anderen Menschen. Ein Wunder, dass du mich überhaupt noch hören kannst!“

„Aber nein, wieso denn, ich will doch meinen Wunsch gar nicht mehr!“

Paul war sehr traurig darüber, dass er Ratzeputz nicht mehr sehen würde. Ratzeputz räusperte sich: „Du hast mich nicht richtig verstanden! Einen Wunsch kann man nicht rückgängig machen. Einmal ausgesprochen wird er sogleich erfüllt.“

Nach einer kurzen Pause fügte Ratzeputz jedoch hinzu: „Du kannst es nicht ungeschehen machen, aber du kannst vielleicht etwas abändern.“

„Ja, so sag doch, was ich tun soll!“, fragte Paul erleichtert.

„Nun, wenn du willst, dass ich wieder erscheine“, der kleine Dämon hob bedeutsam die Stimme, „dann putze dir eintausendmal die Zähne! Und ich werde wieder zu sehen sein!“, schloss Ratzeputz fröhlich.

„Eintausendmal ...“, Paul stöhnte, „Findest du das nicht ein bisschen viel, da hab ich ja fast dreitausend Jahre zu tun!“

„Dreitausend Jahre! Ha, ha!“, höhnte Ratzeputz, „Dann putzt du dir wohl nur alle drei Jahre die Zähne? Pfui, wie schändlich!“

„Na gut ...“, lenkte Paul ein, „Dreitausend Jahre sind vielleicht ein wenig übertrieben. Aber eintausend Mal Zähneputzen ist auch nicht gerade wenig!“

Paul musste warten, bis er eine Antwort bekam. Erst nach einer ganzen Weile hörte er die Stimme von Ratzeputz wieder: „Na gut, weil du es bist ... Sagen wir ... fünftausend Mal!“

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Für einen Augenblick verschlug es Paul die Sprache. Dann rief er entrüstet: „Aber das ist ja noch viel mehr!“

Sofort hörte er ein feines Kichern. „Reingelegt! Ha, ha ...“, das Lachen des kleinen Dämons wurde immer lauter, „Ha-ha-ha ... reingelegt!“

„Sehr witzig!“, Paul wurde allmählich ungeduldig, „Komm, das ist doch blöd, wenn ich dich nicht sehen kann!“

„Tss, tss ...“, Ratzeputz schien zu überlegen, „Wenn du mir versprichst, dir nie wieder so was blödes zu wünschen ...“

„Ich versprech ’s dir ... wirklich!“, beeilte sich Paul zu versichern.

Aber der kleine Dämon schien noch immer nicht zufrieden. Mit ernster Stimme forderte er: „Und ich will jeden Morgen und jeden Abend auf deiner Zahnbürste reiten! Mindestens!“

„Puh ...“, Paul stöhnte. Das war wirklich ziemlich viel verlangt. Aber da Ratzeputz weiter unsichtbar blieb und auch nichts mehr sagte, willigte er schweren Herzens ein.

„Gut, ich mach ’s!“, versprach Paul zögerlich.

„Na dann, aber Volldampf!“, hörte er einen freudigen Ruf.

Und direkt vor ihm auf dem Waschbeckenrand erschien sein kleiner roter Dämon mit den großen orangeroten Augen und dem zottigen Fell. Vor Freude hüpfte er von einem Bein auf das andere. Paul musste bei seinem Anblick lachen, obwohl ihn sein Versprechen nicht sehr begeisterte.

„Aber ich habe keine Zahnbürste mehr. Und der Zahnputzbecher ist auch im Müll gelandet“, erklärte er Ratzeputz sein Zögern. Insgeheim dachte Paul, wie toll es gewesen wäre, wenn er sich tatsächlich nie wieder die Zähne putzen müsste. Wäre sein kleiner Dämon nicht gewesen, hätte er bestimmt seinen Wunsch niemals bereut.

Doch Ratzeputz schien nicht sehr von seiner Ausrede beeindruckt. „Sag mal, hast du vergessen? Du hast einen Wunsch frei, da wir den ersten – na sozusagen – gestrichen haben!“

„Oh nein, ist das wirklich dein Ernst?“, Paul ärgerte sich jetzt gewaltig, es gab schließlich so viele Dinge, die er haben wollte! Und nun sollte er seinen einzigen Wunsch vertun, um sich eine Zahnbürste und einen Zahnputzbecher zu wünschen! Das war wirklich das dümmste von allem! Der kleine Dämon sah ihn unverwandt an und schlug aufgeregt mit seinem Schwanz gegen den Wasserhahn, während Paul überlegte.

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Eigentlich hatte er sich ja vorhin schon entschieden. Er wollte seinen kleinen frechen Dämon behalten. Er kannte kein Kind, das so etwas hatte!

„Alles klar“, sagte er entschlossen, „Ich wünsche mir eine Zahnbürste und einen Zahnputzbecher!“

Kaum hatte er diesen Wunsch ausgesprochen, stand auch schon ein neuer Zahnputzbecher mitsamt einer nagelneuen Zahnbürste darinnen auf dem Waschbecken.

Da staunte Paul nicht schlecht. Er nahm die Zahnbürste in die Hand, sie war tatsächlich echt! Und sie war himmelblau mit winzigen silbernen Sternchen, genauso wie der Zahnputzbecher.

„Hellblau ist wohl deine Lieblingsfarbe?“, fragte er Ratzeputz lächelnd.

Irina Dessert: Zahnbürste

Der sah ihn nur verwundert an: „Natürlich, welche Farbe sollte es denn sonst sein?“ Und, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, fügte er hinzu: „Deine etwa nicht?“

Paul musste lachen, weil ihm die Farbe eigentlich ziemlich egal war. Hauptsache, er hatte seinen kleinen Dämon wieder. Und dass er auch noch richtig zaubern konnte, entschädigte ihn für alle anderen Unannehmlichkeiten. Dafür nahm er sogar das Zähneputzen in Kauf!

Schon war Ratzeputz mit einem kühnen Schwung auf die Zahnbürste gesprungen, die Paul in der Hand hielt und rief: „Was ist los, Kosake, willst du hier versteinern?“

Paul nahm die himmelblaue Tube und drückte ein wenig von der nach Kirschen duftenden Paste auf die ebenfalls himmelblauen Borsten der Zahnbürste. Nun kommandierte Ratzeputz: „Hüh hott!“, und tanzte wild auf der Zahnbürste hin und her.

Soviel Spaß hatte Paul das Zähneputzen noch nie gemacht. Wer weiß, vielleicht könnte er sich doch noch daran gewöhnen?

Irina Dessert: Becher

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